In einem Urteil vom 22. Mai 2020 entschied das Arbeitsgericht Brüssel, dass eine entlassene Arbeitnehmerin Anspruch auf Überstunden hat, obwohl sie keine Beweise für die tatsächliche Leistung der Überstunden vorgelegt hat.
In dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall verfügte der Arbeitgeber über kein Zeiterfassungssystem.
Dem Urteil des Brüsseler Gerichts zufolge sei es jedoch die Pflicht des Arbeitgebers, ein objektives und zuverlässiges Zeitregistrierungssystem einzurichten. Falls es ein solches nicht gebe, müsse nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber nachweisen, wie viele Stunden konkret gearbeitet wurden.
Das Gericht beruft sich in der Urteilsbegründung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019. In diesem Fall zwischen der Deutschen Bank und einer spanischen Gewerkschaft entschied der EuGH, dass der soziale Schutz der Arbeitnehmer, wie etwa ausreichende Pausen, nicht ohne ein objektives, verlässliches und zugängliches Zeiterfassungssystem garantiert werden könne.
Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019 in der Rechtssache C‑55/18, CCOO / Deutsche Bank:
„Um die praktische Wirksamkeit der von der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Rechte und des in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerten Grundrechts zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.“
Wenn ein Arbeitgeber in Belgien also nicht über ein Zeiterfassungssystem verfügt, riskiert er damit die Verurteilung zur Zahlung von Überstunden.
Arbeitgeber ohne Zeiterfassungssystem sollten dieses Risiko daher beachten. Das Zeiterfassungssystem muss dabei kein typisches „Stechkartensystem“ sein, sondern kann auf Technologie (App etc.) oder sogar nur auf Papier basieren.
Wenn ein Zeiterfassungssystem gleichwohl nicht eingeführt werden soll, sollten klare Vereinbarungen / Anweisungen zur Durchführung von Überstunden ausgearbeitet werden, um zu vermeiden, dass im Nachhinein Forderungen auf Überstundenvergütungen geltend gemacht werden.